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Wenn die “andere Seite der Medaille“ immer mehr Kratzer bekommt

Wenn die “andere Seite der Medaille“ immer mehr Kratzer bekommt

Seitdem ich denken kann, sammle ich Münzen. Und seitdem ich Münzen sammle, stehen deutsche Münzen ganz oben auf meiner Wunschliste. Mit Wehmut erinnere ich mich daran zurück, wie ich in Kindertagen mit meinen Großeltern ein Münzalbum bastelte, in das ich die Gedenkmünzen aus den achtziger Jahren einlegte. Dass es Fünf-Mark-Stücke gab, die ganz anders aussahen als der Fünfer, den ich als Taschengeld bekam, faszinierte mich schon immer. Dass der erste Gedenk-Fünfer „Germanisches Museum“, ausgezahlt als Wochenlohn, von den damaligen Zeitgenossen als Falschgeld abgelehnt wurde und sich zwischenzeitlich zu einer der meistgesuchten Münzenraritäten des 20. Jahrhunderts entwickelte, war für mich eine spannendere Geschichte als jeder Comic oder Kinofilm. Und als ich im Jahr 2001 die goldene Abschiedsmark in den Händen halten und darüber meinen ersten Artikel in einer Münzzeitschrift veröffentlichen durfte, war es endgültig um mich geschehen.

Heutzutage blicke ich dagegen mit gemischten Gefühlen auf das, was Deutschland in numismatischer Hinsicht seit vielen Jahren abliefert. Dabei wurden doch eigentlich seit der Einführung des Euro alle meine Münzen-Wünsche erfüllt: Die Bundesrepublik rief eine Gedenkmünzen-Serie in Gold ins Leben, sie lud die Deutschen zu einer Entdeckungsreise in die 16 Bundesländer auf Zwei-Euro-Umlaufmünzen ein und lieferte im Jahr 2016 mit den Polymer-Münzen eine echte Innovation, für die Deutschland völlig zu Recht den „Coin of the Year“-Award gewann, der als Münz-Oscar gilt. Zudem war es den fünf deutschen Prägestätten gelungen, eine gemeinsame Dachmarke zu entwickeln, deren Klang in einem Konzert mit den ganz Großen der Branche mitspielen konnte: Monnaie de Paris, Koninklijke Nederlandse Munt, Münze Deutschland.

Doch abseits dieser Erfolgsgeschichte erlebe ich auch die sprichwörtlich „andere Seite der Medaille“ – und diese Seite bekommt immer mehr Kratzer: Ich frage mich, wo die vielen Sammler geblieben sind, die noch vor ein paar Jahren eine mehrere hundert Meter lange Schlange vor der Bundesbank-Filiale in Hannover bildeten, um sich die neueste Ausgabe der „Klimazonen der Erde“ zu sichern. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Auflage der deutschen 100-Euro-Goldmünzen, die sich nach der tatsächlichen Nachfrage bemisst, von Jahr zu Jahr sinkt. Und ich durfte mit eigenen Augen miterleben, wie im Edelmetallhandel die deutschen Gedenk-Goldstücke kurzerhand eingeschmolzen werden, weil es sich schlicht nicht mehr lohnt, sie als Sammlerstücke anzubieten oder längere Zeit auf Lager vorzuhalten.

Es wurde schon viel geschrieben über die Zukunft des Sammelns im Allgemeinen und der Numismatik im Besonderen. In meiner Wahrnehmung ist ein Abgesang auf das einstige Hobby der Könige völlig deplatziert. Das Münzensammeln ist ein Hobby für Jedermann (und glücklicherweise auch jede Frau). Die Welt der Münzen hat eine glänzende Zukunft, nicht zuletzt durch die Absicherung in Form von Edelmetallen wie Gold und Silber. Mit Spannung erlebe ich, wie sich Münzenhändler und Auktionshäuser, Onlineplattformen und App-Entwickler auf den Weg machen, das nächste Kapitel der Numismatik zu schreiben.

Ja, ich höre auch besorgte Stimmen aus vielen Ecken des Marktes. Die globale Unsicherheit, die galoppierende Inflation, die Orientierungslosigkeit im Hinblick auf ideelle und materielle Werte macht auch vor dem Münzhandel nicht Halt. Wenn die Tankfüllung plötzlich 160 statt 80 Euro oder das geliebte Fischbrötchen inzwischen 2,99 Euro statt 1,29 Euro kostet, müssen die Menschen das Geld zusammenhalten und dort sparen, wo es am wenigsten weh tut.

Offenbar tut es so manchem Sammler am wenigsten weh, auf die eine oder andere Münze zu verzichten. Und ich kann es ihnen nicht verdenken bei der Kaltschnäuzigkeit, mit der sie an so manchem Bundesbank-Schalter bedient werden. Oder bei dem, was sie gelegentlich an Qualität und Quantität geliefert werden. Wenn ich höre, dass einzelne Händler in Deutschland einen nicht geringen Teil ihrer Insekten-Farbmünzen zurückschicken, weil die Farbe abblättert, dann hält sich meine Freude über diese technische Innovation in Grenzen.

Keine Frage, wo gehobelt wird, fallen Späne und wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Aber die Schalter-Mitarbeiter der Bundesbank, die Ingenieure in den Prägestätten und die Strategen in der Bundesverwaltung haben es mit einer anspruchsvollen, mit einer leidenschaftlichen und mit einer bei Bedarf auch reizbaren Zielgruppe zu tun. „Sammeln ist ein Teil von dir“ titelt ein traditionsreicher Zubehör-Hersteller aus Norddeutschland neuerdings – und deshalb geht so manchen Sammler das, was ihm ausgerechnet in der deutschsprachigen Numismatik geboten wird, so nahe. Und deshalb wünsche ich mir für das Jahr 2024, dass „Made in Germany“ auch künftig in der Welt der Münzen für Qualität, für Präzision und für Innovation steht.

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